"Die Bürger*innen sind bis heute Treiber der Energiewende"
Wir sind im April 15 Jahre geworden. Wir sprachen mit unserer Vorstandsvorsitzenden, Dr. Simone Peter, über Ihre Arbeit bei der Agentur für Erneuerbare Energien, die Entwicklungen in der Energiewende und über ihren ganz persönlichen Beitrag hierzu.
Frau Peter, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie dieses Foto sehen?
Simone Peter: Einerseits denke ich an die hohe Improvisationskunst, diesen gelungenen Auftakt in Essen auf der Zeche Zollverein mit einem Mini-Team zu organisieren. Andererseits erinnere ich mich an die hohe Motivation aller Akteure, angefangen beim Kampagnen-Team, über den Bundesverband Erneuerbare Energie, die Erneuerbaren Fachverbände, die beteiligten Ministerien bis hin zu unserem Schirmherr Klaus Töpfer und dem damaligen Umweltminister Jürgen Trittin. Denn wir wollten zeigen, dass die Entwicklung der Erneuerbaren Energien in Deutschland bereits nach wenigen Jahren eine einzigartige Erfolgsgeschichte für Klimaschutz, regionale Wertschöpfung und Innovation war, die zwingend fortgesetzt werden sollte.
Das war am 6. April – vor 15 Jahren. Sie waren damals die Leiterin der Informationskampagne „Deutschland hat unendlich viel Energie“, aus der die Agentur für Erneuerbare Energien hervorgegangen ist. Wie ist es dazu gekommen?
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wurde nach langem Streit im Jahr 2004 reformiert, teilweise auch zurückgefahren. Interessierte Kräfte machten viel Stimmung gegen die Erneuerbaren – von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bis zum SPIEGEL, der mit dem Titel „Der Windmühlenwahn“ sogar im eigenen Verlag für viel Streit sorgte. Die Verbände der Erneuerbaren und die grün geführten Ministerien Umwelt und Landwirtschaft beschlossen daraufhin, eine Kampagne für die Erneuerbaren Energien ins Leben zu rufen, um der Öffentlichkeit deren breiten volkswirtschaftlichen Nutzen darzustellen. Ich persönlich kam dazu, weil ich mich nach vier Jahren in Bonn bei EUROSOLAR, der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien, auf diese spannende Stelle bewarb – und sie bekam. Dann baute ich das Büro im Energieforum in Berlin auf.
Wieso bedurfte es einer Informationskampagne?
Es gab von Anfang an Zweifler und Gegner der Energiewende. Hermann Scheer warnte bereits früh vor Enthusiasmus, weil er wusste, dass die Erneuerbaren um jedes Prozent werden kämpfen müssen. Denn das bedeutete ja, dass fossile Energien und damit Schwergewichte im Energiemarkt an Marktanteil verlieren. Außerdem gab es mit der wachsenden Sichtbarkeit der Anlagen Diskussionen um Landschaftsschutz, aber auch um die vermeintlichen Gegensätze zum Natur- und Artenschutz brachen auf. Also machten wir uns auf, mit zahlreichen Prominenten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, mit Testimonials und guten Materialien die Vorteile der Erneuerbaren Energien zu dokumentieren.
Worauf sind Sie heute rückblickend auf Ihre Arbeit als Leiterin besonders stolz?
Besonders stolz macht mich, dass wir den Grundstein für eine nachhaltige Arbeit gelegt haben, denn die Agentur für Erneuerbare Energien wirkt als Nachfolgerin der Informationskampagne bis heute und macht eine hervorragende Arbeit – mittlerweile von der kommunalen bis zur Bundesebene. Sie ist fest etabliert und anerkannt.
Seit damals hat sich im Bereich der Erneuerbaren Energien sehr viel geändert. Im ersten Quartal dieses Jahres konnten die Erneuerbaren Energien erstmals mehr als die Hälfte des Strombedarfs (52%) erzeugen. Gleichzeitig sorgen der Solardeckel und die Abstandsregeln für die Windenergie für Schwierigkeiten in der Branche. Haben wir denn in den vergangenen 15 Jahren nichts gelernt?
Doch, glücklicherweise haben wir viel gelernt, sonst wären wir ja heute nicht so weit. Aber es waren häufig auch einfach nur Verhandlungsergebnisse zwischen den Ressorts im Bundeskabinett, zwischen Bund und Ländern oder sonstigen politischen Einflüssen, die manchmal das Schlimmste verhindert haben. Und es gab all die Jahre ein Riesenpfund: Die Bürger*innen haben sich nicht beirren lassen und sind bis heute Treiber der Energiewende. Trotzdem ist zu beklagen, dass politische Einschnitte zum Zusammenbruch der Solarenergie und Einschnitten bei der Bioenergie geführt haben und auch heute beratungsresistent sind, was die Beseitigung von Hürden für die Windkraft angeht. Da könnten wir tatsächlich schon viel weiter sein.
Was wünschen Sie der AEE für die nächsten 15 Jahre?
Ich wünsche mir, dass die AEE weiterhin ihre Kompetenz auf alle Handlungsebenen beweisen kann, denn die Demonstration von Best-Practices in den Kommunen und Ländern, die Analyse von Daten, Entwicklungen und Stimmungen im Kontext der Energiewende, die Erarbeitung von Fachlektüre und allgemeinverständlichem Informationsmaterial oder die Organisation eines lebendigen Austauschs verschiedenster Stakeholder sind und bleiben für die gesamte Branche, aber auch für die Politik und viele weitere Akteur*innen von besonderer Bedeutung. Dabei ist es gut, sich immer wieder nach neuen Möglichkeiten umzuschauen, offen zu bleiben für neue Ideen und neue Partner und das gelingt der AEE ja auch sehr gut.
2009 folgte Ihre politische Karriere, zunächst als Ministerin für Umwelt, Energie und Verkehr des Saarlandes bis 2012 und im Anschluss als stellvertretende und spätere Bundesvorsitzende der Bündnis90/Die Grünen. Wollten Sie schon immer in die erste Reihe der Politik?
Nein, ganz und gar nicht. Meine Eltern, aber auch meine älteren Brüder waren sehr politisch, meine Mutter war viele Jahre vor mir Ministerin im Saarland, da will man sich eher abheben. Deshalb habe ich auch die Naturwissenschaften zum Beruf gewählt. Ich wollte gelernte Umweltschützerin werden. Aber irgendwann holen einen dann die Prägungen doch ein, die politische Diskussion hat mir viel Spaß gemacht, ob im Jugendzentrum, in der Fachschaft an der Uni oder dann in der Partei auf Ortsebene. So kam eins zum nächsten: Aufstellung für Wahllisten bei Kommunal- und Landtagswahl, verbandspolitisches Engagement in Bonn und Berlin, dann der überraschende Ruf als Ministerin ins Saarland und so ging es weiter. Aber vorbestimmt war das sicher nicht.
Nach 2018 traten Sie aber nicht mehr an, sondern gingen zum Bundesverband Erneuerbare Energien. Was hat Sie dazu bewogen?
2018 war es bei Bündnis90/Die Grünen Zeit für einen Personenwechsel an der Spitze und als ich nach dem Ausscheiden aus dem Amt der Bundesvorsitzenden vom BEE gefragt wurde, ob ich mir ein ehrenamtliches Engagement als Präsidentin dort vorstellen könne, war ich gleich einverstanden. Ich kannte die Branche ja schon länger und ich bin Überzeugungstäterin. Es hat mir auch immer Spaß gemacht, in Verbänden zu arbeiten. Beides hat seinen Reiz: Parteipolitik und Verbandspolitik.
Der AEE sind Sie aber dennoch treu geblieben?
Zwangsläufig (lacht). Ich wusste nicht, dass ich mit dem Amt der BEE-Präsidentin auch AEE-Vorsitzende werden sollte. Aber das passt gut, es ist ein tolles Team, und auch da kann ich ja an Erfahrungen anknüpfen.
Unter Robert Habeck und Annalena Baerbock haben die Grünen vor allem seit der EU-Wahl im vergangenen Jahr einen fast einmaligen Aufstieg hingelegt. Stützen Sie weiterhin die Ausrichtung der Partei oder hat sie seit Ihrem Weggang für Sie an Relevanz verloren?
Ja, die Wahlergebnisse in den Ländern und auf EU-Ebene und die Umfragen sind toll. Derzeit trübt die Corona-Krise diese Entwicklung etwas, weil Krisenzeiten oft Kanzlerzeiten sind, aber ich bin mir sicher, dass die Grünen durch die wachsende Herausforderung der Klimakrise wieder an Stärke gewinnen werden. Wir erleben jetzt schon im März extreme Dürre, die Waldbrände in Australien sind uns alle noch im Kopf, und eine Bewegung wie Fridays for Future bleibt, solange nicht eine ambitionierte Klimapolitik gemacht wird. Und alleine durch dieses Thema, aber auch viele noch vorhandene Kontakte und natürlich eine innere Verbundenheit bin ich noch nahe bei meiner Partei. Gleichzeitig bin ich jetzt überparteilicher unterwegs, aber auch das ist für mich ja nichts Neues. Und auch das macht Spaß.
Sie engagieren sich auch für den Verein Women of Windenergy als Schirmherrin. Warum braucht es eine solche Institution?
In den meisten Branchen sind Frauen unterrepräsentiert, vor allem in Spitzenpositionen. Und gerade in den technischen Bereichen, zu denen auch die Energiebranche zählt, sind vor allem Männer anzutreffen. Da ist es gut, dass sich Frauen vernetzen, gegenseitig informieren und stärken. Es gibt einige tolle, hochqualifizierte Frauen in der Erneuerbaren Branche, die ich als Schirmherrin mit ermuntern möchte, gläserne Decken zu durchbrechen und Karriere zu machen. Die Windenergie-Frauen haben das in einem Netzwerk organisiert, das verschiedene Regionen und Ebenen erreicht. Das hat mich überzeugt.
Reden Frauen in der Branche der Erneuerbaren Energien anders untereinander als mit Männern?
Frauen reden anders, Männer reden anders. Überall. Zufälligerweise war ja auch das erste Team der AEE, vormals Informationskampagne, ein reines Frauenteam. Das hat gut funktioniert. Später hat es sich dann durchmischt und auch das ist gut. Hauptsache ist, dass sich Frauen zusammentun, wenn sie sich benachteiligt fühlen und das nicht auf sich sitzen lassen. Das ist leichter, wenn mehrere Frauen in einem Team sind, oder wie bei den Grünen eine Doppelspitze führt.
Was würden Sie den Bewegungen von Fridays for Future, Ende Gelände, Extinction Rebellion gern sagen?
Ich stehe in ständiger Verbindung mit den Bewegungen und habe gerade am 24. April beim Netzstreik fürs Klima mitgemacht. Toll, dass es sie gibt, denn es geht um ihre Zukunft. Jetzt, während der Corona-Krise, möchte ich Ihnen sagen: Haltet durch, nutzt weiterhin Wege jenseits klassischer Demos, um präsent zu sein und seid laut und vernehmbar. Denn wenn wir eines lernen aus Corona, dann dass wir auf Wissenschaft hören müssen. Bei Corona und bei der Klimakrise. Wir müssen schnell handeln, viel schneller als das Politik gerade plant. Dafür braucht es deren Druck.
Welche Persönlichkeiten/Menschen haben Sie inspiriert – inspirieren Sie?
Inspiriert haben mich schon während meines Studiums die Bücher von Hermann Scheer, Franz Alt, Frederic Vester oder Robert Jungk. Alle verbindet, dass sie das Solare Zeitalter kommen sahen, sich vom fossilen Energiesystem distanzierten und neue Wege aufzeigten. Meine politische Familie ist daran nicht ganz unschuldig, denn diese Bücher lagen teilweise im Elternhaus zum Lesen bereit. Außerdem demonstrierten wir gemeinsam gegen das Atomkraftwerk Cattenom im benachbarten Frankreich und den Nato-Doppelbeschluss für die Stationierung von Atomraketen. Das prägt lebenslänglich.
Das Interview führte Anika Schwalbe.
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