"Ich sehe die Medienlandschaft und die Politik in der Verantwortung, Aufklärung zu leisten und keine Laufzeitverlängerungen zu beschließen."

Ole Horn, Aktivist und Sprecher von Fridays for Future aus Halle (Saale), spricht mit uns über die Verantwortung von Politik und Medien, Aufklärung zu betreiben anstatt Scheindebatten über die Laufzeitverlängerung von AKW zu führen. Er erklärt, wie er die aktuelle Diskussion über die Energieversorgung in Deutschland wahrnimmt und wie die Klimabewegung europaweit auf das Thema Atomkraft blickt.

Herr Horn, am 6. Juli stimmte das EU-Parlament für den Taxonomievorschlag der Europäischen Kommission, womit Investitionen in Erdgas und Atomkraft als „nachhaltig” eingestuft werden. Der Aufschrei von Fridays for Future war daraufhin groß. Warum ist Atomenergie für Sie nicht nachhaltig?

Ich denke, da gibt es sehr viele verschiedene Aspekte, da Nachhaltigkeit ein sehr weiter Begriff ist. Ein wesentlicher Punkt ist, dass noch immer nicht geklärt ist, wie wir mit dem atomaren Müll umgehen. Ein weiterer sehr großer Punkt ist, dass Atomenergie auch nicht wirklich sicher ist. Es gibt immer wieder Vorfälle, die dann auch sehr weitreichend sind und eine große Sicherheitsgefahr ausstrahlen. Das kriegt man gerade in der Berichterstattung aus der Ukraine mit, aber auch Frankreich hat jetzt gerade einen Sicherheitsstab für Atomkraftwerke initiiert, weil bei der enormen Hitze das Kühlwasser nicht mehr ausreichend gekühlt werden kann und dies somit ein riesiges Sicherheitsrisiko für die Menschen dort darstellt. Ein dritter sehr wesentlicher Aspekt ist, dass man mit Erneuerbaren Energien unabhängig ist und die eigenen Werte etablieren und auch verteidigen kann. Das ist bei Atomenergie nicht wirklich gegeben, da die Brennstäbe aus anderen Ländern kommen müssen, an die man dann natürlich wirtschaftlich gebunden ist, wenn man vollständig auf diese Energie setzt. Oftmals sind das Staaten, die nicht sonderlich demokratische Werte haben, was aber auch ein maßgeblicher Aspekt von Nachhaltigkeit ist. Das sind die drei tragenden Punkte, warum wir Atomenergie nicht für nachhaltig halten.

Anlässlich der letzten Bundestagswahl schrieben Sie in einem Gastkommentar am 9.9.2021: „Es braucht weiter den Druck von der Straße auf die Politik, da wir sofortiges Handeln benötigen und wir gelernt haben: Ohne uns passiert nichts!“ Hat sich seit der neuen Regierung etwas daran geändert?  

Also ich glaube schon, dass sich in einer gewissen Form etwas verändert hat, weil man Kräfte in derOle Horn (Foto: privat) Regierung hat, die schon bereit sind, mehr zu tun. Allerdings ist „mehr“ noch lange nicht genug. Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut und vor allem die aktuellen politischen Debatten um das 9-Euro-Ticket oder in Bezug auf die Atomkraft bzw. die Energieversorgung, dann sieht man, dass wir immer noch unfassbar weit davon entfernt sind, ausreichende Maßnahmen zu ergreifen. Selbst der Koalitionsvertrag reicht nicht einmal aus, um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen. Die wiederum sind weit von den Pariser Klimazielen entfernt. Das heißt, die Differenz, die wir zwischen dem, was noch passieren muss und dem, was gerade passiert, ist unendlich groß. Deswegen ist für uns total klar, dass wir weiter auf die Straße gehen müssen. Wir haben für den 23. September den nächsten globalen Klimastreik angekündigt, wo wir ganz klar zeigen werden: Wir machen weiter, weil es uns weiter braucht. Weil die Regierung weiter die Klimaziele und damit die Menschenrechte mit Füßen tritt und wir das nicht hinnehmen wollen.

Die Bundesregierung hat erst kürzlich angekündigt, angesichts der Gaskrise die Sicherheit des Energieversorgungssystems erneut zu prüfen. Im Zuge der Gasabhängigkeit von Russland wird nun eine Laufzeitverlängerung (bzw. ein „Streckbetrieb”) der letzten drei deutschen Atomkraftwerke wird diskutiert. Laut dem ARD-DeutschlandTrend ist die auch die Mehrheit der Deutschen dafür. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie das hören?

Ich bin ein Stück weit fassungslos, wütend und frustriert. Wenn ich mir die wissenschaftlichen Berichte dazu anschaue, wird ganz klar, dass Atomkraft in keiner Hinsicht unsere Zukunft ist. Zum einen wollen wir eigentlich aussteigen, weswegen die Fachkräfte sich andere Arbeitsplätze gesucht haben. Zum anderen sind die Brennstäbe einfach nicht darauf ausgelegt, wesentlich länger zu laufen. Das heißt, es wäre ein enormer Aufwand, diese enorm teure Energiequelle weiter zu nutzen. Dazu kommt, dass wir gerade das, was wir auffangen wollen beim Gas – was wir ja vor allem für die Wärme nutzen – überhaupt nicht durch die Atomkraft decken würden. Ich habe vor Kurzem eine Studie gelesen, dass nur circa 1 Prozent der Energie, die wir durch Gas gewinnen, mit Atomkraft ersetzt werden kann. Das ist so ein geringer Bruchteil, dass es überhaupt nicht erstrebenswert ist, eine so gefährliche Technologie weiter fortzusetzen. Deswegen bin ich auch von der Berichterstattung der Medien sehr enttäuscht. Wenn man sich die Fakten anschaut, dann kann die Mehrheit der Gesellschaft nicht dafür sein, atomare Energie länger zu nutzen. Ich sehe da die Medienlandschaft und die Politik in der Verantwortung, entsprechende Aufklärung zu leisten und keine Laufzeitverlängerungen zu beschließen, die uns überhaupt nicht weiterbringen.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs drehen sich die Diskussionen überwiegend um die Versorgungssicherheit und steigende Energiepreise. Wird in dieser Debatte der Klimaschutz geopfert?

In einer gewissen Form schon. Gerade beim Ausbau der Erneuerbaren, die ein wichtiger und tragender Aspekt vom Klimaschutz sind, erleben wir eine völlig verschobene Debatte: Wenn Herr Söder darüber redet, dass jetzt mehr Windkraft im Norden produziert werden soll, aber bloß keine Windräder in Bayern aufgestellt werden dürfen, ist das im Prinzip „Greenwashing“. Es sind Debatten, in denen zwar über Erneuerbare gesprochen, aber nicht ernsthaft daran gearbeitet wird, unsere Probleme zu lösen. Ich glaube, dass es genau unsere Rolle ist, das zu verändern und wieder mit einer breiten Masse auf die Straße zu gehen, um zu zeigen, dass wir keine Atomkraft wollen. Wir wollen keine Verträge mit dem Senegal oder Abkommen mit Katar, um weiter Gas zu importieren, sondern den Ausbau von Erneuerbaren. Wir wollen eine Zukunft haben und dafür brauchen wir ganz klar Klimaschutz, um auch Klimagerechtigkeit erzielen zu können.

Frankreich hat schon immer seine Energieversorgung hauptsächlich mit Atomkraft gedeckt und will laut Präsident Emmanuel Macron zukünftig noch mehr in AKW investieren. Was sagen Sie denen, die Atomkraft aufgrund der niedrigen CO2-Emissionen als klimafreundliche Lösung anpreisen?

Ja natürlich fallen weniger CO2-Emissionen an, jedoch sehen wir, dass in so ziemlich allen anderen Aspekten – z.B. bei den Kosten, die bei der Stromerzeugung entstehen – es eine der teuersten Technologien ist, um Strom zu erzeugen. Und jetzt in einer Zeit, wo gerade alles teurer wird, die Menschen sich die Miete nicht mehr leisten können, auf eine Technologie zu setzen, die nur noch teurer ist, sehe ich nicht als Lösung dafür. Und es ist nachweislich unfassbar gefährlich. Wir sehen, dass es mit der Klimakrise auch nicht gut kompatibel ist: Gerade haben wir eine Hitzewelle in Frankreich und sofort treten dort bei den Atomkraftwerken massive Probleme auf. Es ist natürlich so, dass Atomkraft weniger CO2 ausstößt, aber wenn es schon mit dem jetzigen Stand der Klimakrise nicht mehr gut kompatibel ist, ist es definitiv nicht die Lösung, um der Klimakrise entgegenzustehen.

Gehen die Meinungen zur Atomkraft in den europäischen Fridays-for-Future-Gruppen auseinander? Welche unterschiedlichen Positionen nehmen Sie wahr?

Es ist insofern unterschiedlich, als dass es eine verschiedene Priorität hat. In Deutschland haben wir jetzt einen beschlossenen Ausstieg, der jetzt gerade wieder in der Debatte steht. Aber da sind wir ja wesentlich näher dran, dass Atomkraft im Prinzip keine Rolle mehr in der energiepolitischen Debatte spielt. Das ist in Frankreich natürlich vollkommen anders. Trotzdem ist es so, dass die Aktivist*innen dort genauso kommunizieren, dass Atomkraft nicht die Lösung ist, die erstrebenswert ist, sondern nur eine weitere Gefahrenquelle. Das hat man bei der Taxonomie-Debatte sehr gut gesehen, wo in ganz Europa Fridays-for-Future-Aktivist*innen klar kommuniziert haben, dass weder Erdgas noch Atomkraft nachhaltig sind und es völliger Bullshit ist, sie als nachhaltig zu labeln. Man hebelt damit auch die Taxonomie als Fördermittel total aus, weil es ja an sich erstrebenswert ist, zu sagen, nach welchen Richtlinien zukünftig die Energiepolitik laufen soll. Aber dort jetzt Technologien reinzunehmen, die überhaupt gar nicht dem entsprechen, was sein soll, macht im Prinzip auch die Arbeit, die man vorher in die Taxonomie gesteckt hat, überflüssig bzw. zunichte. Es gab auch Debatten innerhalb der Bewegung, wie weit Atomkraft vielleicht auch eine Rolle spielen kann – da sind wir aber mit der Wissenschaft sehr schnell zu dem Schluss gekommen, dass dem nicht so ist und dass man auch da schnellstmöglich aussteigen muss.

Ab und zu ist im Zuge des Atomausstiegs zu hören, dass „die junge Generation” nichts dazu sagen könne, weil sie den Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 nicht miterlebt haben. Was sagen Sie dazu?

Ich finde es völlig utopisch, dass man nichts zu Sachen sagen kann, die man nicht unbedingt selber aktiv miterlebt hat. Es gibt ja zahlreiche Berichte und Dokumentationen darüber. Man sieht doch, was aus diesem Prozess entstanden ist: Man hat sich an vielen Stellen darauf geeinigt, dass Atomkraft eine gefährliche Technologie ist. Die Wissenschaft kommuniziert es ganz klar. Wenn ich mir jetzt die Berichte der letzten Wochen anschaue, dann macht mir das eher Angst, dass man weiter auf Atom setzen möchte, als dass ich sage „Ja geil Atomkraft! Lass mal wieder ausbauen!“. Deswegen finde ich es in einer gewissen Form auch undemokratisch zu sagen, dass man sich an einer Debatte nicht beteiligen kann, weil man ein bestimmtes Ereignis nicht erlebt hat. Das wäre ja in etwa so, wie wenn man sagt, man kann nicht über Fußball reden, weil man das Finale in irgendeinem Jahr nicht gesehen hat. Eine Debatte entsteht nicht nur aus einem einzelnen Erlebnis, sondern aus dem Wissen, was dazu vorhanden ist.

Das Interview führte Valentin Jahnel.

Das Gespräch entstand im Rahmen der Atomausstiegskampagne „Erneuerbar statt atomar“.

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