Genossenschaftlich das Energiesystem der Zukunft gesichert
Als Milchviehhalter sollte Thomas Häcker wissen, was eine Ochsentour ist. Der Weg zur flexiblen Strom- und Wärmeversorgung war nicht immer leicht. Trotzdem macht er zusammen mit Berufskollegen, dem Bürgermeister und einer Genossenschaft heute schon die Zukunft unseres Energiesystems im Kleinen vor. Die schlaue Kombination von Biogas und Speichern kann zu jeder Zeit zuverlässig große Teile des schwäbischen Gussenstadt mit Wärme versorgen und zugleich flexibel Strom vermarkten.
Auf einen Blick
Warum ist das ein gutes Beispiel für das notwendige Update unserer Energieversorgung?
Die genossenschaftliche Biogasanlage mit wachsendem Wärmenetz vereint einen wärmegeführten saisonalen Fahrplan mit der Bereitstellung positiver und negativer Regelenergie.
Gründung/Inbetriebnahme: 2013-2017
So werden Erneuerbare Energien genutzt:
Erneuerbare-Energien-Anlagen:
3 Biogas-BHKW (400 kW el., 205 kW el., 1.167 kW el.)
Erneuerbare Stromerzeugung:
4,1 Mio. kWh jährlich.
Das deckt den durchschnittlichen Verbrauch von 1.170 Haushalten.
Erneuerbare Wärmeerzeugung:
3 Mio. kWh jährlich.
Das deckt den durchschnittlichen Verbrauch von 140 Haushalten.
So trägt die Anlage zum Update bei
1. Flexibilität
- Flexible Fahrpläne: saisonal, Wochen-/Tagesfahrplan
- Regelenergie: SRL, MRL +/-
- Koppelung: Strom/Wärme
2. Netze
- Stabilisierung Stromnetz: Regelenergie, Blindleistung
- Nutzung eines Wärmenetzes: 4,8 km, 110 Abnehmer
3. Speicher
- Wärmespeicher: 40 m3, Wärmenetz
- Gasspeicher: ca. 3.000 m3
4. Marktintegration
- Vermarktung von Strom: Reaktion auf Strombörsenpreis
- Vermarktung von Wärme: lokaler Wärmetarif
Wie es dazu kam
Zwei Faktoren gaben den Ausschlag für die Erfolgsgeschichte der Energiegenossenschaft Gussenstadt: Junglandwirt Thomas Häcker war 2008 in den elterlichen Betrieb eingestiegen. Er überlegte, ob er mit der Gülle und dem Mist der rund 90 Milchkühe nicht eine eigene Biogasanlage füttern könnte. Gleichzeitig machte sich die Gemeindeverwaltung Gerstetten Gedanken darüber, wie sie die Wärmeversorgung im Ortsteil Gussenstadt modernisieren könnte. Klar war, dass angesichts alter, ineffizienter Heizungsanlagen und gleichzeitig steigender Kosten für Erdöl und Erdgas gehandelt werden musste.
Statt in dieser Situation alleine in eine kleine Biogasanlage zu investieren, entschied sich Häcker für eine Gemeinschaftslösung. Zusammen mit der Gemeindeverwaltung initiierte er die Energiegenossenschaft Gussenstadt. Eine größere Biogasanlage sollte mehr Wärme liefern können, um sie per Wärmenetz in die Wohngebiete Gussenstadts zu leiten. Dafür reichte die Gülle von Häckers Milchvieh allerdings nicht. Mit viel Ausdauer und Überzeugungskraft vereinten er und Bürgermeister Roland Polaschek 27 Landwirte im Umkreis von rund 5 Kilometern um Gussenstadt. Diese liefern nun Energiepflanzen und Reststoffe an die 2013 gestartete Biogasanlage. Häcker und seine Mitstreiter in der Genossenschaft legen Wert darauf, keine Konkurrenz um Anbauflächen und Lieferverträge zu schaffen. „Das gibt nur böses Blut, wenn man sich gegenseitig das Wasser abgräbt.“ Bis auf zwei Landwirte machten alle mit.
Damit war die Ochsentour allerdings noch nicht geschafft. „Eine Genossenschaft gründen und zweieinhalb Millionen Euro investieren war easy. Aber die ersten 67 Wärmekunden zu überzeugen, das war enorm schwer“, erinnert sich Thomas Häcker. Mit allen Arten von Vorurteilen sei er in unzähligen persönlichen Gesprächen konfrontiert worden. Das Biogas-Wärmenetz wurde zum Nachbarschaftsgespräch. Die Genossenschaft organisierte Exkursionen zu bereits laufenden Wärmenetzen, wobei auch der eine oder andere Skeptiker Vertrauen gewann. Bis 2017 wuchs das Wärmenetz auf 110 Abnehmer und Genossenschaftsmitglieder an.
Was hier passiert
Die 27 Landwirte im Umkreis der Biogasanlage liefern Thomas Häcker Energiepflanzen wie Gras, Triticale und Mais. Dabei wird die Durchwachsene Silphie, eine der Sonnenblume ähnliche mehrjährige Energiepflanze, als Untersaat unter dem Mais ausgebracht. Als Mischkultur wachsen Mais und Silphie dann auf ein und demselben Acker. So lassen sich Biodiversität und Erträge verbessern.
Thomas Häcker vergärt diese Substrate zusammen mit Gülle und Mist seiner Milchkühe im Fermenter. Das dadurch entstehende Biogas fließt zu den drei Blockheizkraftwerken (BHKW), die auf seinem Hof stehen. Durch die Verbrennung des Biogases im BHKW wird mit einem Generator Strom erzeugt und gleichzeitig Abwärme freigesetzt. Ein kleiner Teil davon wird zum Heizen des Fermenters genutzt, der größte Teil jedoch in das 4,8 Kilometer lange Wärmenetz geleitet, welches die BHKW mit jedem einzelnen der anfangs 67, nun 110 Abnehmer verbindet. Darunter sind nicht nur Privathaushalte, sondern auch Schulgebäude, ein Kindergarten und eine Sporthalle.
Gleichzeitig zur steigenden Wärmenachfrage erweiterte Thomas Häcker 2017 seinen Kuhstall. Mit dem Mehraufkommen an Gülle und Mist kann er nun mehr Biogas und damit auch mehr Wärme erzeugen. Die beiden ursprünglich angeschafften BHKW mit 205 kW und 400 kW elektrischer Leistung reichten allerdings nicht mehr aus. Durch den Zubau eines Blockheizkraftwerks mit 1.167 kW ist er nicht nur für den Spitzenbedarf in kalten schwäbischen Wintern gewappnet.
Er kann nun auch Systemdienstleistungen für ein stabiles Stromnetz anbieten (positive und negative Regelenergie sowie Blindleistung). Mit einem Direktvermarkter erstellt er außerdem einen Fahrplan für den flexiblen Einsatz der BHKW. So fährt er bei niedrigen Strombörsenpreisen die Stromerzeugung herunter, um zu einem attraktiveren Zeitpunkt umso mehr Strom ins Netz einzuspeisen. Da Häcker über ausreichend große Biogasspeicher verfügt und noch einen Wärmespeicher nachgerüstet hat, lassen sich diese Schwankungen problemlos abfedern.
Das Update für unser Energiesystem
Im Energiesystem der Zukunft werden Erneuerbare Energien noch mehr Verantwortung übernehmen müssen. Soll auf Kohlekraftwerke wie auch Erdgasheizungen verzichtet werden, muss während des gesamten Jahres eine stabile Wärme- und Stromversorgung garantiert werden können. In Gussenstadt zeigt sich schon heue, wie sich diese beiden Herausforderungen meistern lassen.
Vorrang hat für Thomas Häcker zunächst die Wärmeversorgung seiner Dorfnachbarn. Da deren Wärmenachfrage je nach Jahreszeit und Wetterlage schwankt, hält er einen ausreichenden Puffer vor. So lässt sich die Wärmeerzeugung der BHKW kurzfristig steigern. Aus dem Wärmespeicher, einer Art Warmwassertank, lässt sich bei Bedarf zusätzlich Wärme entnehmen oder einspeichern. Der Wärmespeicher hilft auch, wenn im Sommer die Netze voll Solarstrom sind und die Strombörsenpreise im Keller. Häcker kann dann für zwei, drei Tage die BHKW weitgehend herunterfahren. Auf eine warme Dusche müssten die Gussenstädter nicht verzichten. Zwar zersetzen die Bakterien im Fermenter weiterhin die Substrate zu Biogas, doch lassen sich bis zu 3.000 Kubikmeter Biogas vor Ort speichern.
Auch für die Herausforderung der Netzstabilität ist Häcker vorbereitet. Wenn eine zu große Differenz entsteht zwischen der aus dem Netz entnommenen und der eingespeisten Strommenge, kann es zu gefährlichen Schwankungen kommen. Kurzum, es droht der Kurzschluss. Die Netzbetreiber wachen darum über die richtige Balance. Zum Ausgleich rufen sie Regelenergie ab von Kraftwerken, die als Lückenfüller bei Bedarf schnell ihre Einspeisung steigern oder reduzieren. Außerdem muss zeitweilig Blindleistung aus dem Netz gezogen werden, um dessen Spannung zu halten. Mit seinen Biogas-BHKW kann Thomas Häcker all diese Aufgaben übernehmen. Er leistet damit einen Beitrag zur Ablösung der fossilen Kraftwerke, die bisher vor allem diese Verantwortung übernahmen.
Wie es sich rechnet
Thomas Häcker refinanziert die ursprünglich rund 2,3 Millionen Euro Investitionen in die Biogasanlage und die 1,8 Millionen Euro für das Wärmenetz über die Direktvermarktung des Stroms aus den Biogas-BHKW zuzüglich der Marktprämie des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Hinzu kommen die Erlöse aus dem Wärmeverkauf. Eine geringer direkter Investitionszuschuss floss vom Land Baden-Württemberg für das innovative Konzept für das Bioenergiedorf Gussenstadt sowie über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) für die Errichtung des Wärmenetzes. Mit der Erweiterung auf 110 Wärmeabnehmer sind nochmals 1,1 Millionen Euro investiert worden in das 1.167 kW starke BHKW, Gasleitungen und Gärrestelager sowie 0,3 Millionen Euro in die Erweiterung des Wärmenetzes. Für den Zubau des BHKW griff Häcker auf die Flexibilitätsprämie des EEG zurück. Angesichts des stark gestiegenen Angebots an Regelenergie rief der Netzbetreiber bei Thomas Häcker bisher nur wenig Sekundär- und Minutenreserveleistung ab.
Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit des Wärmenetzes ist die hohe Anschlussdichte. Wer an das Wärmenetz angeschlossen werden möchte, wird Mitglied der Genossenschaft und zeichnet einen Anteil von 2.500 Euro. Hinzu kommt ein von der Anschlussgröße abhängiger Baukostenzuschuss von 2.500 bis 5.000 Euro. Je nach Tarifmodell liegen die Kosten für eine Kilowattstunde Wärme zwischen 4,3 und 5,9 Cent. Die Gemeinde hat als Teil der Energiegenossenschaft für das Wärmenetz geworben. Auf rund der Hälfte des Gemeindegebietes gibt es aber weiterhin als Konkurrenten das Erdgasnetz. Die derzeit niedrigen Preise fossiler Energieträger wie Erdgas seien ein großes Problem, meint Häcker.
Da bei Planung, Bau und Betrieb der Biogasanlage und des Wärmenetzes vielfach örtliche Unternehmen involviert sind, ergeben sich unterschiedliche kommunale Wertschöpfungseffekte wie Steuerzahlungen an die Kommune, Unternehmensgewinne und Einkommen aus Beschäftigung.
Wie es weitergeht
Thomas Häcker will in der näheren Zukunft die Nachverdichtung des Wärmenetzes angehen. In bestimmten Bereichen des Dorfes sollen dabei weitere Interessenten angeschlossen werden. Ob er seine BHKW noch weiter für den Strommarkt optimiert, hat Häcker noch nicht entschieden. Den Einstieg in den kurzfristigen untertägigen Stromhandel will er jedoch mit seinem Direktvermarkter prüfen. Mit der Energiegenossenschaft Gussenstadt könnte er sich zudem vorstellen, in das Repowering von alten Windenergieanlagen in der Umgebung einzusteigen. Vor der nächsten Ochsentour für die Energiewende scheint Thomas Häcker nicht zurückzuschrecken. Rückblickend meint er, dass es zwar wichtig sei, alle Betroffenen einzubinden und zu berücksichtigen. Er wolle aber beim nächsten Mal auch nicht zu viel Zeit verlieren mit Bedenkenträgern, denen es eigentlich nur ums Blockieren gehe.
Energiegenossenschaft Gussenstadt (EGG) eG
Thomas Häcker
thomashaecker@gmx.de
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