Flexibles Biogas für ein stabiles Stromnetz
Wenn Kohle- und Atomkraftwerke ganz abgeschaltet werden, müssen Erneuerbare Energien jederzeit Verantwortung übernehmen für ein stabiles Stromnetz. In einer Gemeinschaftsleistung machen das die elf Landwirte hinter der Biogasanlage Stoetze. In der dünn besiedelten Region zwischen Lüneburger Heide und Wendland fließt häufig besonders viel Solar- und Windstrom ins Netz. Ein hoch flexibler Park von Biogas-Blockheizkraftwerken stabilisiert dann das Netz.
Auf einen Blick
Warum ist das ein gutes Beispiel für das notwendige Update unserer Energieversorgung?
Die Biogasanlage ist auf einen hoch flexiblen Anlagenbetrieb umgerüstet worden und kann dank großer Wärme- und Gasspeicher nicht nur im kurzfristigen Strombörsenhandel agieren, sondern auch alle Arten von Regelenergie und Blindleistung liefern.
Gründung/Inbetriebnahme: 2005-2017
So werden Erneuerbare Energien genutzt:
Erneuerbare-Energien-Anlagen:
6 Biogas-BHKW (300 kW, 300 kW, 370 kW, 901 kW), davon 2 Satelliten-BHKW (530 kW, 900 kW nach laufender Erweiterung)
Erneuerbare Stromerzeugung:
12 Mio. kWh jährlich.
Das deckt den durchschnittlichen Verbrauch von 3.400 Haushalten.
Erneuerbare Wärmeerzeugung:
3,2 Mio. kWh jährlich (davon 1,2 Mio. kWh in Haushalte, 2 Mio. kWh in Trocknung).
Das deckt den durchschnittlichen Verbrauch von 150 Haushalten.
So trägt die Anlage zum Update bei:
1. Flexibilität
- Flexible Fahrpläne: saisonal, Wochen-/Tagesfahrplan
- Regelenergie: PRL, SRL, MRL +/-
- Kopplung: Strom/Wärme
2. Netze
- Stabilisierung Stromnetz: Regelenergie, Blindleistung
- Nutzung eines Wärmenetzes: ca. 2 km, über 40 Abnehmer (nach laufender Erweiterung)
3. Speicher
- Wärmespeicher: 30 m3, Wärmenetz
- Gasspeicher: 4.800 m3 + 6.000 m3 (nach laufender Erweiterung)
4. Marktintegration
- Vermarktung von Strom: Reaktion auf Strombörsenpreis
- Vermarktung von Wärme: lokaler Wärmetarif
Wie es dazu kam
Auch wenn sich die Beteiligten hinter der Biogasanlage Stoetze bereits aus einem gemeinsamen Brennereiprojekt kannten, war es doch keine Schnapsidee. Mit dem damals bevorstehenden Wegfall des Branntweinmonopols wurde die Wirtschaftlichkeit der Brennerei ungewiss. Michael Borgard, der heutige Geschäftsführer der Bioenergie Stoetze, berichtet von einer intensiven Suche nach Alternativen. Für die Landwirte in der Region war es wichtig, den bisherigen Anbau von Getreide und Kartoffeln fortzusetzen. Gleichzeitig sollte die Wertschöpfung so weit wie möglich vor Ort bleiben. Der Einstieg in die Biogaserzeugung lag darum nahe. Strom und Wärme aus Biogas versprachen mehr Vielfalt bei den Erlösen, der Maisanbau mehr Vielfalt in den Fruchtfolgen. Elf Landwirte gründeten daraufhin 2005 die Bioenergie Stoetze GmbH & Co KG.
Das erste Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 600 Kilowatt elektrischer installierter Leistung wurde noch rund um die Uhr an möglichst allen Tagen des Jahres betrieben. Schritt für Schritt verabschiedeten sich Borgard und seine Mitstreiter jedoch von diesem recht anspruchslosen Grundlastbetrieb. Man wollte mehr leisten. Die Bereitstellung von Wärme als auch von Strom sind hochflexibel geworden: „Wir müssen als Systemdienstleister agieren. Wir müssen die Leistungen der Kohle- und Atomkraftwerke übernehmen können“, ist Borgard überzeugt.
Was hier passiert
Im Fermenter der Biogasanlage werden viele Energiepflanzen vergoren: Mais, Getreide, Zuckerrüben, Ackergras und die Durchwachsene Silphie. Die Biogasanlage integriert sich damit ideal in die örtlichen landwirtschaftlichen Strukturen, stammen die Energiepflanzen doch alle von den beteiligten elf Landwirten, die über insgesamt 1.600 Hektar Fläche verfügen. Das im Fermenter entstehende Biogas wird in mehreren Blockheizkraftwerken zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt.
Die Wärme fließt per Wärmenetz an rund 20 Gebäude im 600 Einwohner zählenden Dorf Stoetze. Michael Borgard bereitet im Sommer 2017 die Erweiterung um rund 20 zusätzliche Haushalte vor. Es versteht sich von selbst, dass sich die Bioenergie Stoetze auch um Wärmeleitungen und Hausanschlüsse kümmert. Die Gemeinde unterstützt den Anschluss ihrer Wohngebiete und freut freut sich nicht nur über günstige Wärme im Dorf. Dank der Biogasanlage sind auch die Gewerbesteuereinnahmen gestiegen.
Einen großen Teil der Wärme nimmt die Saatbau Stoetze ab, die örtliche Raiffeisen-Genossenschaft. Sie trocknet damit Zwiebeln, Getreide und andere Produkte, um sie nach der Ernte besser lagern zu können. Um Übertragungsverluste zu vermeiden, schicken Borgard und Kollegen die Wärme allerdings nicht per Wärmenetz zur Genossenschaft. Stattdessen führt vom Fermenter eine Biogasleitung zu zwei Satelliten-BHKW am Standort der Genossenschaft. Erst dort wird das Biogas dann zu Strom und Wärme umgewandelt.
Da die Bioenergie Stoetze innerhalb von zehn Jahren schrittweise die Zahl ihrer Blockheizkraftwerke aufgestockt hat, kann sie nun flexibel am Strommarkt agieren. Statt das gesamte Biogas durchgehend in einem einzigen großen BHKW zu verbrennen, laufen mehrere kleinere BHKW nur während bestimmter Zeiten. Mit diesem modularen Betrieb kann kurzfristig auf Schwankungen reagiert werden, seien es preisliche Schwankungen an der Strombörse, die es attraktiv machen, den Output zu erhöhen, seien es Schwankungen der Frequenz und Spannung im Stromnetz. Per Standleitung bekommen die BHKW automatisch das Signal zum Herauf- oder Herunterfahren von Stromhändler und Netzbetreiber.
Das Update für unser Energiesystem
Die Biogasanlage in Stoetze zeigt idealtypisch, wie im erneuerbaren Energiesystem der Zukunft sowohl Strom als auch Wärme jederzeit flexibel angeboten werden können. Sie übernimmt die notwendige stabilisierende Rolle in einem Stromnetz mit immer höheren Anteilen der wetterabhängigen Solar- und Windenergie.
Durch die Teilnahme an der Direktvermarktung verzichtete die Anlage ab 2012 auf die feste Einspeisevergütung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Stattdessen setzen die Betreiber darauf, ihren Biogasstrom an der Strombörse zu den Stunden mit den höchsten Preisen zu verkaufen, ergänzt durch die EEG-Marktprämie. Borgard initiierte dazu bereits 2011 mit Mitstreitern den bundesweit aktiven und einzigen genossenschaftlichen Direktvermarkter, die Genossenschaft deutscher Grünenergie-Erzeuger (GDGE eG). Während bestimmter Stunden wird die Stromerzeugung darum gesteigert oder stark gedrosselt.
Trotzdem muss dann niemand frieren. Für die Haushalte kann stets ausreichend Wärme über das Wärmenetz und einen Wärmespeicher bereitgestellt werden. Da im Fermenter weiterhin Biogas entsteht, fangen große Gasspeicher das Biogas auf, das nicht unmittelbar im BHKW genutzt wird.
Michael Borgard und seinen Kollegen ging es jedoch nicht nur darum, auf die Preisschwankungen an der Strombörse reagieren zu können. Angesichts historisch niedriger Börsenpreise sind die Potenziale für Mehreinnahmen momentan begrenzt. Sie wollten auch Verantwortung für das Stromnetz übernehmen. Das Stromnetz in der dünn besiedelten Region sammelt während vieler Stunden bereits deutlich mehr Solar- und Windstrom ein als vor Ort verbraucht wird. Würden Borgards Biogas-BHKW zu bestimmten Stunden ihre Einspeisung stark steigern, so die Befürchtung des Netzbetreibers, könnte es zu gefährlichen Spannungsschwankungen kommen.
Mit dem Netzbetreiber vereinbarte Borgard daraufhin, dass in kritischen Situationen ein Signal an ein 900 kW-BHKW gesendet wird. Es zieht dann automatisch Blindleistung aus dem Netz, wenn die Spannung geglättet werden soll. „Für diese Dienstleistung bekommen wir kein Geld. Damit kommen wir dem Netzbetreiber aber sehr entgegen und können selbst auch mehr Strom einspeisen“, erklärt Borgard. Im Energiesystem der Zukunft werden Erneuerbare-Energien-Anlagen diese Aufgabe immer häufiger selbst übernehmen müssen.
Gleiches gilt für die Bereitstellung von Regelenergie. Diese setzt der Netzbetreiber immer dann als „Notlösung“ ein, wenn Angebot und Nachfrage nicht passgenau übereinstimmen: Werden mehr Kilowattstunden aus dem Netz abgerufen als eingespeist, kommt die Netzfrequenz ins Schwanken. Ein Blackout droht. Nicht so, wenn Biogas-BHKW wie in Stoetze Regelenergie anbieten. Die Anlage misst eigenständig die Netzfrequenz. Fortlaufend gleicht sie durch geringfügiges Herauf- oder Herunterfahren ihrer Leistung die Frequenzabweichungen aus. Mit dieser Bereitstellung von Primärregelleistung durch Biogas-BHKW war man 2012 in Stoetze Pionier: „Alle haben erzählt, das geht nicht. Ging aber perfekt. Die Anlagen stehen noch immer da und laufen flexibel.“
Wie es sich rechnet
Mehrerlöse ergeben sich für die Bioenergie Stoetze GmbH & Co. KG vor allem aus der Bereitstellung von Regelenergie. Im Jahr 2016 summierten sich die Mehrerlöse aus der Vermarktung von positiver und negativer Regelenergie auf über 30.000 Euro, wovon ein Drittel beim Händler verbleibt und zwei Drittel an die Anlagenbetreiber weitergeleitet werden. Während durch den Preisverfall bei der Minuten- und bei der Sekundärreserveleistung die Einnahmen hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleiben, hält Michael Borgard die Teilnahme an der anspruchsvolleren Primärregelleistung weiterhin für attraktiv.
Diese Mehreinnahmen konnten allerdings erst durch umfangreiche Investitionen erzielt werden, zuletzt in ein BHKW mit 900 kW el. sowie eine Erweiterung auf insgesamt über 10.000 m3 Gasspeicher. Mit der laufenden Erweiterung des Wärmenetzes wird 2017 ein weiterer Zubau eines 900 kW-BHKWs notwendig. Im Verhältnis zur Bemessungsleistung wird die Biogasanlage damit etwa dreifach überbaut sein.
Der Betrieb der Biogasanlage und des Wärmenetzes sorgt in der Region für Gewinne der in den Wertschöpfungsstufen beteiligten Unternehmen, für Einkommen bei deren Beschäftigten und für kommunale Steuereinnahmen. Insgesamt beläuft sich die kommunale Wertschöpfung auf schätzungsweise rund eine Viertelmillion Euro im Jahr 2015 (Quelle: Online-Wertschöpfungsrechner der Agentur für Erneuerbare Energien).
Insgesamt sind drei Vollzeitarbeitsplätze mit dem Anlagenbetrieb verbunden. Das Klima profitierte durch die Vermeidung von 5.200 Tonnen Treibhausgasen (CO2-Äquivalent, Quelle: Treibhausgasrechner des Fachverband Biogas).
Wie es weitergeht
Borgard betont, dass sein Strom aus Biogas nie so kostengünstig angeboten werden wird wie Solar- und Windstrom. Daher sieht er die Zukunft seiner Anlage in der Qualität, nicht in der Quantität. Biogas müsse zeigen, dass es etwas besser könne, nämlich für das gesamte Stromnetz Stabilität zu gewährleisten. Wenn man mit dem Ausstieg aus Kohle- und Atomkraft Ernst mache und vollständig auf Erneuerbare Energien umsteige, ergäbe sich ein riesiger Bedarf an systemstabilisierenden Diensten. „Wenn wir das können, können das auch tausende anderer Biogasanlagen – das wäre schon ein Beitrag.“
Nach der laufenden Erweiterung erwägt Borgard, eventuell auch in den untertägigen Stromhandel (Intraday) einzusteigen. Parallel zur weiteren Flexibilisierung für den Strommarkt allerdings auch noch den Wärmeabsatz zu optimieren, sei „schon ein Spagat“. Wenn man das am Anfang gewusst hätte, wären Wärmespeicher und Gasleitungen größer ausgelegt worden. Als man 2005 im damaligen EEG mit dem ersten Biogas-BHKW startete, hätte sich allerdings niemand einen flexiblen Anlagenbetrieb mit dreifacher Leistung vorstellen können. Das war aber wirklich keine Schnapsidee.
Stand: September 2017
Bioenergie Stoetze GmbH & Co. KG
Michael Borgard
michael.borgard@gmx.de
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