Energie-Kommune des Monats: Landkreis Ludwigsburg
Juni 2023
Der Landkreis Ludwigsburg vor den nördlichen Toren der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart ist vom verarbeitenden Gewerbe geprägt: Mehr als ein Drittel der Arbeitnehmenden ist im Maschinenbau, der Herstellung von Fahrzeugteilen und weiteren Industrieunternehmen beschäftigt. Der für die Region traditionell bedeutende Verkehrssektor steht dabei vor der großen Herausforderung, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Der Landkreis, mit mehr als einer halben Million Menschen einer der bevölkerungsreichsten Kreise der Bundesrepublik, möchte die Verkehrswende deutlich vorantreiben und nimmt als Modellkommune am Klimamobilitätsplan des Landes Baden-Württemberg sowie am Second-Life-Batterie-Projekt Fluxlicon teil. Damit trägt der Kreis Ludwigsburg entscheidend zur Forschung an einem modularen und flexiblen Energiespeicher aus gebrauchten aber funktionstüchtigen Elektrofahrzeug-Batterien bei.
Die öffentliche Hand als Vorbild in der Energiewende
Der 39 Städte und Gemeinden umfassende Landkreis möchte seiner Verantwortung gerecht werden und das kommunale Energiesystem transformieren. Dafür setzte sich das Landratsamt Ludwigsburg im Jahr 2022 das Ziel, die Klimaneutralität der gesamten Kreisverwaltung bis 2035 zu erreichen. Koordiniert wird das vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg geförderte Vorhaben von zwei Beauftragten für eine klimaneutrale Verwaltung, die Teil des wachsenden Teams Klimaschutz im Landkreis sind. Mit diesem Vorhaben möchte die Verwaltung die eigenen Mitarbeitenden und weitere Stakeholder für eine nachhaltige Lebens- und Arbeitsweise sowohl motivieren als auch inspirieren. „Wer, wenn nicht wir Kommunen – Städte, Gemeinden und Landkreise – können Klimaschutz ganz konkret vorantreiben? Deshalb nehmen wir als Kreis Ludwigsburg die Vorbildrolle der öffentlichen Hand an und arbeiten dafür, auch in Zukunft eine lebenswerte Region zu erhalten. Klimaschutz ist unser Auftrag“, begründet Landrat Dietmar Allgaier das Klima-Engagement im Landratsamt.
Klimaschutz als zentrale Aufgabe einer zukunftsfähigen Verwaltung
Maßnahmen zum Erreichen einer klimaneutralen Verwaltung sind dabei nur mit der Unterstützung aller Mitarbeitenden erfolgreich umzusetzen. Die Belange des Klimaschutzes sollen durch interne Schulungen und Beteiligungsformate, Klimachecks in Beschlussvorlagen der lokalpolitischen Gremien sowie durch den Austausch von Klima-Lots*innen aller Fachbereiche mit dem Team Klimaschutz stets berücksichtigt werden. Um Engpässen bei Personalkapazitäten und finanziellen Mitteln vorzubeugen, wird der steigende Bedarf mit mittel- und langfristigen Strategien adressiert. Möglichst frühzeitige Investitionen bringen über einen langen Zeitraum hohe Einsparungen bei den laufenden Kosten des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen mit sich. Eine Orientierung der Maßnahmen an aktuell zur Verfügung stehenden Förderprogrammen oder geförderten Forschungsprojekten machen Investitionen attraktiv.
„Wir beobachten, dass Klimaschutz von einer Nebenaufgabe immer mehr zu einer der zentralen Aufgaben einer zukunftsfähigen Verwaltung wird. Ich sehe ihn in einer Linie mit weiteren Change-Management-Prozessen wie Digitalisierung oder der Verwaltung als modernem Dienstleister“, fasst Julia Neuhäuser, Klimaschutzmanagerin des Kreises Ludwigsburg die Entwicklungen der vergangenen Jahre zusammen. „Das Mitdenken von Klimaschutzaspekten verläuft immer flüssiger. Trotzdem ist das kein Selbstläufer, sondern erfordert die fortlaufende Unterstützung durch das Team Klimaschutz. Hier wird auch in den nächsten Jahren noch viel zu tun sein.“
Eigener Solarstrom für die Elektrofahrzeug-Flotte
Für die eigenen Liegenschaften setzt der Landkreis bereits seit vielen Jahren ein Energiekonzept um, mit dem die Energieinfrastruktur zukunftsfähig ausgerichtet wird. Dieses sieht eine möglichst dezentrale Eigenstromversorgung durch Erneuerbare Energien vor, bei dem die Sektorenkopplung von Strom, Wärme und Elektromobilität im Mittelpunkt steht. Mit dem eigenen Mittelspannungsnetz am zentralen Verwaltungscampus können innerhalb des gesamten Areals der Strombezug und die Stromerzeugung der einzelnen Gebäude verknüpft werden. Dafür werden Photovoltaik-Anlagen derzeit auf über 900 Kilowatt-Peak ausgebaut. Ergänzt werden diese durch ein neues Blockheizkraftwerk, das in Zeiten reduzierter Stromproduktion oder erhöhter Nachfrage die Versorgung sicherstellt.
Für den zunehmend elektrifizierten zentralen Fuhrpark wurden am Verwaltungscampus circa 150 neue Ladepunkte installiert, was eine Gesamtzahl von über 200 ergibt. Perspektivisch soll die Dienstfahrzeugflotte zu 100 Prozent durch selbsterzeugten Strom aus Erneuerbaren Energien versorgt werden. Darüber hinaus steht die Ladeinfrastruktur in den Parkgaragen des Landratsamts seit diesem Jahr auch der Öffentlichkeit rund um die Uhr zur Verfügung. Sowohl Besucher*innen als auch Mitarbeitende können so ihre Elektroautos kostenlos und CO2-neutral laden. Zu bezahlen sind lediglich die Parkgebühren. Zusätzlich werden die Mitarbeitenden des Landratsamtes durch das Konzept zum behördlichen Mobilitätsmanagement beim Umstieg auf nachhaltige Mobilitätsoptionen für Arbeitswege sowie Dienstreisen unterstützt. Dazu zählen neben dem elektrifizierten Fuhrpark auch die Bezuschussung eines Firmentickets sowie ein Fahrrad-Kilometergeld.
Second-Life-Batterien als flexibel einsetzbarer Energiespeicher
Mit einem Jahresstromverbrauch von aktuell 1,9 Gigawattstunden und einem Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von 28,9 Prozent sowie den Gegebenheiten und Plänen zur Transformation der Verkehrsinfrastruktur ist der Landkreis ein vielversprechender Anwendungsfall für das Forschungsvorhaben „Intelligentes und flexibles System zum Einsatz von Second-Life-Batterien in der kommunalen Ladeinfrastruktur“, kurz Fluxlicon. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projektes untersuchen die beteiligten Organisationen aus Forschung und Wirtschaft die Einsatzmöglichkeiten gebrauchter Batteriesysteme aus Elektrofahrzeugen unterschiedlicher Hersteller in stationären Energiespeichern. Diese Zweitnutzung der Batterien im flexiblen und modularen Fluxlicon-Speicher ermöglicht die Integration Erneuerbarer Energien sowie die Grundlage für den Aufbau einer intelligenten Ladeinfrastruktur. Dank der Nutzung unterschiedlicher Batteriesysteme steigt die Produktverfügbarkeit und bei einem Ausfall können andere Batteriesysteme eingesetzt werden.
Das im September 2021 gestartete Projekt, an dem die Agentur für Erneuerbare Energien gemeinsam mit der RWTH Aachen, der PEM Motion GmbH, der ConAC GmbH sowie der DEKRA arbeitet, soll die Lebensdauer noch funktionsfähiger Batterien verlängern und einen Beitrag zur Verkehrswende leisten. In der Laufzeit von drei Jahren werden kommunale Bedarfe und Voraussetzungen identifiziert, um Energiespeicher aus Second-Life-Batterien künftig in kommunalen Ladeinfrastrukturen zu nutzen. Bis Ende August 2024 werden zentrale Erkenntnisse erarbeitet und veröffentlicht.
Der Fluxlicon-Stromspeicher in Ludwigsburg wird das vor Ort bestehende Energiekonzept optimal ergänzen, indem die Lastspitzen beim Strombezug innerhalb des eigenen Stromnetztes gepuffert und die überschüssige Produktion der Photovoltaik-Anlagen gespeichert werden. Bei erhöhtem Strombedarf gibt der Speicher aus Second-Life-Batterien die Energie wieder ab. Der Speicher ist somit ein wesentlicher Baustein zur Kopplung des Strom- und Verkehrssektors im Landkreis Ludwigsburg. Als Pilotkommune leistet der Kreis einen wichtigen Beitrag für die Erprobung von Second-Life-Speichern zur Flexibilisierung des Stromnetzes, aber auch für die Umsetzung von dezentralen Quartierskonzepten.
Ein Klimamobilitätsplan für die Verkehrswende
Im bundesweiten Vergleich weist der Landkreis Ludwigsburg einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Elektrofahrzeugen am Gesamtbestand auf. Bei Neuzulassungen im Jahr 2022 lag der Anteil von Elektro-Pkw mit 19,1 Prozent leicht über dem Bundesdurchschnitt mit 17,7 Prozent. Auch das Verhältnis von Ladeinfrastruktur zu Bevölkerung liegt über dem deutschen Mittel: Im Januar 2022 waren es mit 427 Normalladepunkten und 68 Schnellladesäulen etwa eine Schnittstelle pro tausend Einwohner*innen. Zusätzlich bietet ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz eine verlässliche Erreichbarkeit selbst kleinerer Kreiskommunen.
Als Modellkommune nimmt der Kreis am Pilotprojekt zur Erstellung eines Klimamobilitätsplans des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg teil. Ziel dieses Plans ist die Reduktion des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor um mindestens 55 Prozent bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 2010. Das entspricht dem neuen Klimaschutzziel des Bundeslandes. Die Maßnahmen zur Minimierung der Treibhausgasemissionen werden in enger Zusammenarbeit mit den 29 am Projekt beteiligten Kreiskommunen erarbeitet. Zudem werden Umweltschutz- und Mobilitätsverbände, die Industrie- und Handelskammer sowie die Bevölkerung in den Prozess eingebunden: Anregungen und Vorschläge werden fachlich geprüft und fließen anschließend in die weitere Ausarbeitung der Vorhaben im Rahmen des Klimamobilitätsplans ein.
Ein vorläufiger Entwurf des Maßnahmenkatalogs enthält mehr als 500 Einzelmaßnahmen unterschiedlichster Art und Zuständigkeit. Dazu gehören neben der Förderung des Fuß- und Radverkehrs sowie des ÖPNV auch sogenannte Push-Maßnahmen, durch welche die Nutzung des motorisierten Individualverkehrs im Vergleich zu den Verbundverkehrsmitteln weniger attraktiv gestaltet werden soll. Intermodalität, also die Kombination verschiedener Verkehrsmittel, spielt dabei eine zentrale Rolle. Engagierte Städte im Landkreis haben bereits konkrete Maßnahmen zur CO2-Reduktion im Verkehr umgesetzt und beispielsweise Tempo-40-Zonen eingeführt oder die Fahrradinfrastruktur ausgebaut, um weitere regionale Verbindungswege zu schaffen. Auch der Bau des Stadtbahnsystems LUCIE (Ludwigsburger City-Express) wird einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende leisten und die Lebensqualität der Bürger*innen verbessern.
Energieeffizienzmaßnahmen für Privatpersonen und Gewerbetreibende
Um die energetische Transformation im Strom- und Wärmesektor weiter voranzutreiben, berät die 2006 gegründete Energieagentur im Kreis Ludwigsburg LEA e.V. Haus- und Wohnungseigentümer*innen sowie Gewerbetreibende, Kommunen und Institutionen zu den Themen Energieeffizienz, Wärmewende, Bauen, Renovieren und Stadtentwicklung. Das Know-how reicht vom Energiesparen in Alt- und Neubau über den Einsatz regenerativer Energien und der Beratung zum Ausbau von Wärmenetzen bis zu gesetzlichen Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten. Zum Erreichen der Klimaschutzziele ist auch der Gebäudesektor wesentlich. Um hier ein koordiniertes Vorgehen seitens der Kommune zu ermöglichen, unterstützt die LEA bei Fragen zur kommunalen Wärmeplanung.
Das größte Potenzial für Erneuerbare Energien liegt im Kreis Ludwigsburg in der Solarenergie. Allerdings wird dieses bisher nur zu circa acht Prozent ausgeschöpft. Um den Ausbau zu fördern und das steigende Interesse mit kundigem Fachpersonal abzudecken, entwickelt das kommunale Netzwerk „Solaroffensive“ aus über 20 Kreiskommunen zusammen mit der LEA geeignete Maßnahmen. Im Rahmen des Netzwerks werden Fachkräfte und Interessierte weitergebildet und Möglichkeiten für Bürger*innen, selbst in Photovoltaik zu investieren, aufgezeigt.
All diese Bemühungen sollen laut Klimaschutzmanagerin Julia Neuhäuser Stück für Stück in einem Umdenken münden: „Mir liegt vor allem am Herzen, dass Klimaschutz nicht nur in Projekten gedacht wird. Es muss darum gehen, Strukturen zu verändern und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass alltägliche Abläufe, Entscheidungen und Handlungen klimafreundlich ausfallen. Klimafreundliches Verhalten muss einfach und normal sein. Hier sehe ich die Kommunen in der Pflicht, ihren Bürgerinnen und Bürgern das zu ermöglichen.“
Weitere Informationen zum Projekt Fluxlicon finden Sie hier: https://www.unendlich-viel-energie.de/projekte/fluxlicon
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