Borkum
August 2018
Gut zwei Stunden dauert die Überfahrt mit der Fähre von Emden auf die größte und westlichste der Ostfriesischen Inseln, Borkum. Mit durchschnittlich 2.000 Sonnenstunden im Jahr zählt das niedersächsische Nordseeheilbad außerdem zu den sonnigsten Orten in Deutschland. Ein idealer Urlaubsort. Aber auch ideal als Testlabor für die Energiewende! Borkum verfügt über viel Sonneneinstrahlung und die Insel bildet ein abgeschlossenes System mit vereinfachten Messbedingungen. Sie ist ein sehr geeigneter Standort für die Erprobung von Energiespeichern und Energiemanagementsystemen, also genau jenen Technologien, die in Zukunft für die Energiewende notwendig werden, wenn die wetterabhängige Wind- und Solarstromerzeugung zunehmen wird.
Das gerade auf Borkum die Technologien der Zukunft erforscht werden, ist kein Zufall. Die Insel wendet sich schon seit einigen Jahren den Erneuerbaren Energien zu: 2001 und 2002 wurden zwei Windräder errichtet, deren Erzeugungskapazität jeweils 1800 kW beträgt, 2010 kam ein Solarpark mit 1400 kWp hinzu. Diese Anlagen sowie weitere über 100 private Klein-Solaranlagen produzieren jährlich rund 2.300.000 Kilowattstunden Strom. „Bis 2030 will unsere Gemeinde klimaneutral werden. Erneuerbare Energien spielen auf diesem Wege eine entscheidende Rolle“, so Bürgermeister Georg Lübben.
Die Bewohnerinnen und Bewohner stehen Erneuerbaren Energien auch aufgeschlossen gegenüber, seitdem der Energiekonzern RWE 2006 begann, in nur 30 Kilometer Entfernung das niederländische Kohlekraftwerk Eemshaven zu planen. Aus Sicht des Luftkurortes Borkum war die Standortentscheidung des Betreibers RWE keine gute Wahl, aber die hiesige Bürgerinitiative und die Beschwerden der Gemeinde hatte gegen den Bau keinen Erfolg. Das Werk ging 2015 ans Netz. „Ein Kohlekraftwerk, dass im 21. Jahrhundert neben dem Nationalpark und UNESCO Weltnaturerbe „Niedersächsisches Wattenmeer“ in Betrieb geht, ist Energiepolitik, die in die völlig falsche Richtung geht“, findet Bürgermeister Georg Lübben. Auch vor diesem Hintergrund sind die Bewohner offen für Neuerungen, welche die Energiewende mit sich bringt. Das zeigt sich besonders, seitdem auf der Insel Energiespeicher und Energiemanagementsysteme getestet werden.
Das Projekt NETfficient - Stadtwerke als Partner
Seit 2015 sind die Borkumer Stadtwerke (offizieller Titel: Nordseeheilbad Borkum GmbH) einer von dreizehn Partnern im europäischen Projekt NETfficient. Diese Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus sieben europäischen Ländern haben sich zusammengeschlossen, um verschiedene Prototypen von Speichermethoden zu testen und ein effizientes Energiemanagement zur Marktreife zu führen. Die Europäische Kommission fördert das Projekt mit neun Millionen Euro. Ziel dabei ist es, auf Borkum bis Ende 2018 eine intelligente Energiespeicherung zu entwickeln, die eine 100-prozentige Versorgung mit regenerativen Energien ermöglicht. Weiterhin sollen Geschäftsmodelle für Energiedienstleister entwickelt werden, um den gespeicherten Strom zu vermarkten, sowie Leitlinien für politische Entscheidungsträger sowie regulierende Behörden entstehen. „Borkum ist für das Projekt nicht nur wegen seiner Insellage ein idealer Standort“, erklärt Olaf Look, Bereichsleiter Netzbetrieb der Nordseeheilbad Borkum GmbH. „Auch die Aufgeschlossenheit der Bürgerinnen und Bürger und des hiesigen Netzbetreibers waren notwendig für die Projektumsetzung. Es gibt nicht viele Kommunen, die alle die Voraussetzungen vorweisen können.“
Das Forschungsprojekt läuft vier Jahre, also noch bis Ende 2018. Über den Projektverlauf wurden in Borkum viele Anlagen errichtet: Auf 40 Wohnhäusern wurden Photovoltaikmodule mit einer Kapazität von je vier Kilowatt peak errichtet. Außerdem wurden intelligente Zähler und Energiespeicher mit einer Speicherenergie von 5 Kilowattstunden installiert. Auch wurden bei größeren Stromverbrauchern wie Hotels, Gewerbe und einem Krankenhaus Solaranlagen mit einer Leistung von 20 Kilowatt peak und Batteriespeichern mit 75 Kilowattstunden errichtet. Für ein Forschungsprojekt entsprechend, handelt es sich bei den Speichern um innovative Prototypen, die hier in Borkum auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden.
Alle Einheiten wurden an eine Energiemanagementplattform zur Überwachung und Regelung angeschlossen. Solarstrom, der nicht direkt vor Ort genutzt werden kann, wird in das lokale Stromnetz gespeist. An das Borkumer Mittelspannungsstromnetz ist auch ein großer Energie-Speicher mit einer Gesamtleistung von 1000 Kilowatt und einer Kapazität von 500 Kilowattstunden angeschlossen. Durch das Verbinden von Erzeugungsanlagen und Speichern über das Energiemanagementsystem entsteht ein sogenanntes Virtuelles Kraftwerk: So gelingt es, die wetterabhängige Erzeugung von Erneuerbarer Energie mit dem Verbrauch zeitlich in Einklang zu bringen. Die Kombination von Energie-Managementsystemen und installierter Speicherkapazität kann Spitzlasten ausgleichen und regenerativ erzeugte Energie dann zur Verfügung stellen, wenn sie benötigt wird. Dadurch wird die Netzleistung und -stabilität deutlich verbessert und nachhaltige Energie zu jeder Zeit verfügbar.
Auch die Straßenbeleuchtung auf Borkum ist Teil des Projektes: Hier kommen Photovoltaik-Module, intelligente Zähler und Batterien zum Einsatz, um den tagsüber erzeugten Solarstrom für die nächtliche Beleuchtung zu nutzen. Außerdem ist auch das Nordsee Aquarium in das Projekt einbezogen: Den Strom der neu installierten Solarpanele nutzt eine Wärmepumpe, um die Temperatur in den Becken zu regulieren.
Bürgermeister Lübben zieht eine positive Zwischenbilanz: „Die Teilnahme an dem Projekt ist bedeutend für unsere kommunale Energiestrategie“, so Bürgermeister Lübben. „Wir freuen uns, wenn wir die Erkenntnisse der Forschungsgruppe nutzen können für unser Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden.“ Wenn das Projekt Ende 2018 endet, werden die Photovoltaikanlagen vor Ort verbleiben; auch die meisten kleineren Speicher werden wohl vor Ort stehen bleiben können, wenn sich in den nächsten Monaten letzte Fragen zum Thema Haftung und Entsorgung geklärt haben. Den großen Energiespeicher übernimmt allerdings eines der beteiligten Forschungsinstitute. Ob das Energiemanagementsystem weiter genutzt wird, wird erst die Auswertung des Projektes ergeben, wenn klar ist, wie wirtschaftlich das Virtuelle Kraftwerk arbeitet. Wichtig ist den Projektpartnern auch, herauszufinden, ob ein solches System auch skalierbar, also auch auf andere Regionen in größerem oder kleineren Maßstab angewendet werden kann.
„Die Entwicklung eines Virtuellen Kraftwerks auf Borkum ist ein weitreichender Schritt auf dem Weg hin zu einem zukunftsfesten und klimaschonenden Energiesystem“, beschreibt Olaf Look von den Stadtwerken die Bedeutung des Projektes. „Kann zum Projektende die Wirtschaftlichkeit des Energiemanagementsystems bewiesen werden, dann ist es kein weiter Weg mehr um für Borkum die Energiewende wahr werden zu lassen.“
Olaf Look engagiert sich bei den Borkumer Stadtwerken weiterhin für die Energiewende. Derzeit beantragt er wieder mit verschiedenen Partnern bei der Europäischen Kommission ein Projekt – Ziel ist es, Borkum dann tatsächlich vollständig mit Erneuerbaren Energien zu versorgen. Dafür sollen die Anlagen des aktuellen NETfficient-Projekt weiter mit einbezogen werden. Aber auch unabhängig von der Projektidee will die Gemeinde bis 2030 CO2-neutral werden und erarbeitet derzeit ein Klimaschutzkonzept.
Fotos: Nordseeheilbald Borkum GmbH
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