Große Koalition: Entscheidungen über nächste Schritte für Energiewende offen
Zukünftige Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren Energien weiter in der Schwebe. Koalitionäre uneins über Zeitplan.
Wer darauf gehofft hatte, dass es mit dem Trocknen der Tinte unter dem Koalitionsvertrag von Union und SPD schnell neue Entscheidungen in der Energiepolitik gibt, wurde in den vergangenen Wochen eines Besseren belehrt. Zwar heben die Koalitionäre das Ausbauziel für Erneuerbare Energien im Stromsektor auf 65 Prozent im Jahr 2030 an, doch ist noch unklar, auf welche Referenzgröße sich die Prozentangabe überhaupt bezieht. Je geringer der Stromverbrauch im Jahr 2030, desto weniger erneuerbare Kilowattstunden werden benötigt. Nimmt die Bundesregierung dagegen eine steigende Stromnachfrage beispielsweise für Power-to-Gas-Verfahren an, müssten auch entsprechend mehr Erneuerbare-Energien-Anlagen hinzugebaut werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich auch aus vielen Studien, die in der neuen AEE-Metaanalyse zur Rolle erneuerbarer Gase in der Energiewende analysiert werden. Spätestens wenn im kommenden Jahr neue nationale Energie- und Klimapläne für das gemeinsame EU-Ausbauziel im Jahr 2030 vorbereitet werden, muss sich die GroKo in Sachen Strommengen ehrlich machen.
Kommen die angekündigten Sonderausschreibungen wirklich?
Dass das Klimaziel für das Jahr 2020 ohne Zusatzanstrengungen nicht erreicht wird, mussten die Koalitionäre bereits eingestehen. Als Reaktion darauf vereinbarten sie in ihrem Koalitionsvertrag eine Anhebung der jährlich ausgeschriebenen Kapazität für neu zu errichtende Erneuerbare-Energien-Anlagen. Der jährliche Zubaudeckel von brutto 2.500 Megawatt (MW) Photovoltaik-Leistung und 2.800 Megawatt Windenergieleistung an Land soll durch Sonderausschreibungen von je 4.000 MW Wind an Land und Photovoltaik aufgestockt werden. Auch einen höheren Beitrag der Offshore-Windenergie verspricht der Koalitionsvertrag. Da dieser zusätzliche Ausbau noch vor der Zielmarke 2020 wirksam werden soll, war in Berlin ursprünglich ein schnelles „100-Tage-EEG-Reparaturgesetz“ erwartet worden, um eine rechtliche Grundlage für Sonderausschreibungen zu schaffen. Doch bei Redaktionsschluss dieses "Renews" vorliegenden Gesetzentwurf ist von den zusätzlichen Ausbaumengen keine Rede mehr.
Die Branche der Erneuerbaren Energien hatte schon anlässlich der Koalitionsverhandlungen auf eine schnelle Erhöhung der Zubaumengen gedrängt. In ihrem gemeinsamen Appell vom 23. Mai forderten IG Metall, Bundesverband Windenergie und Stiftung Offshore-Windenergie den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und die Bundesumweltministerin Svenja Schulze erneut eindringlich auf, zu den Zielen des Koalitionsvertrags zu stehen. Die Sonderausschreibungen müssten „ohne Verzögerung“ umgesetzt werden.
Jährlich drohen bis zu 2.700 Megawatt Rückbau von Windenergieanlagen
Zwar boomte im vergangenen Jahr noch der Zubau von Windenergieanlagen im Rahmen des alten Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). In den kommenden Jahren befürchtet die Erneuerbaren-Branche einen massiven Einbruch, weil viele der in den 2017er Ausschreibungen erfolgreichen Windprojekte noch gar nicht über Genehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) verfügen und schon seit dem EEG 2014 werden deutlich zu wenige Photovoltaik- und Bioenergieanlagen hinzugebaut, um das 2020-Ziel, geschweige denn das neue 65-Prozent-Ziel zu erreichen. Dafür müsste über die je 4.000 MW Wind- und Solarleistung und über 2020 hinaus ein langfristiger, ehrgeiziger Ausbaukorridor verankert werden. Das ist umso wichtiger, da bis zum Jahr 2025 alte Windenergieanlagen mit 16.300 MW Leistung an das Ende ihrer zwanzigjährigen EEG-Vergütung gelangen. Bis zu 2.700 MW Windleistung könnten dann jährlich stillgelegt werden, wie eine neue Studie der Fachagentur Wind ermittelte.
Wenn am bisherigen Standort wegen neuer Raumplanung und Naturschutzauflagen kein Repowering der alten Mühlen möglich ist, würde auch die Windstromerzeugung entsprechend schrumpfen. Schließlich lohnt sich ein Weiterbetrieb nicht, solange die Strombörsenpreise auf historischen Niedrigständen verharren und alternative Vertriebsmöglichkeiten fehlen. Der Anteil des erneuerbaren Stroms würde in den kommenden Jahren auf der Stelle treten.
Uneinigkeit zwischen den Koalitionären über Zeitplan
Unterstützt wird die Erneuerbaren-Branche durch eine Initiative des Bundesrats, der ebenfalls für 2018 eine Erhöhung der Ausschreibungsmengen gefordert hat. Bundesumweltministerin Schulze bedauerte unterdessen in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestags, dass ihr Kollege Altmaier keine Sonderausschreibungen im 100-Tage-Reparaturgesetz vorgesehen hat. Das Bundeswirtschaftsministerium will das Thema dem Vernehmen nach erst im Herbst 2018 angehen. Schon zu Beginn der Wahlperiode deutet sich damit ein Kräftemessen zwischen Union und SPD an.
Bringen CDU/CSU und SPD vor der Sommerpause das Reparaturgesetz gar nicht mehr ein, dürfen sich ab Herbst 2018 wieder Projekte ohne BImSchG-Genehmigung an Wind-Ausschreibungen beteiligen. Die vorläufige Aufhebung dieser Ausnahme war allgemein begrüßt worden, um in der deutschen Windbranche einen "Fadenriss" mit unabsehbaren Folgen zu vermeiden. Sie sollte mit dem 100-Tage-EEG-Reparaturgesetz nun eigentlich rechtssicher abgeschafft werden. Auf Planungssicherheit muss die Erneuerbaren-Branche wohl weiter hoffen.
Bildquelle Bundestagsgebäude: Pixabay, 244068
- Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht. -
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